Am 4. April 1980 begaben sich elf Sinti und eine Sozialarbeiterin in die evangelische Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau und traten in einen Hungerstreik. Dieses bedeutende Ereignis war ein Protest gegen den seit Jahrzehnten bestehenden Antiziganismus und die Diskriminierung von Sinti und Roma durch deutsche Behörden. Unter den Hungerstreikenden befanden sich neben vier Holocaust-Überlebenden auch Romani Rose, der zwei Jahre später Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma wurde. In einer Zeit, in der das Unrecht nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Akten weiterlebte, forderten die Streikenden die Anerkennung des Völkermords an ihrer Community.
Rund 500.000 Angehörige der Sinti und Roma wurden während der NS-Zeit in Konzentrationslagern ermordet. Über Jahrzehnte wurde den Angehörigen eine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland verweigert. Im Rahmen des Hungerstreiks verlangten die Demonstrierenden nicht nur eine öffentliche Rehabilitierung der Minderheit, sondern auch den Zugang zu den Akten der „Landfahrerzentrale“ des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA), die 1965 aufgelöst wurde. Diese Akten enthalten persönliche Daten von Sinti und Roma, die seit 1899 systematisch erfasst wurden, beginnend mit der sogenannten „Zigeunerzentrale“ der Polizeidirektion München.
Die Protestaktion und ihre Forderungen
Der Hungerstreik wurde als zentraler Gründungsmoment der Bürgerrechtsbewegung von Sinti und Roma in Deutschland angesehen. Initiiert von der Gruppe um Romani Rose, wandten sich der Verband Deutscher Sinti und die Gesellschaft für bedrohte Völker an das bayerische Innenministerium, um Informationen über den Verbleib der Datensammlungen aus der Zeit des Nationalsozialismus zu erhalten. Trotz dieser Bemühungen weigerte sich das Ministerium, die diskriminierenden Praktiken zu verurteilen – es wurde erklärt, die Akten seien bereits vernichtet.
Während des Hungerstreiks wurden die Teilnehmer täglich von etwa hundert Journalisten und mehreren Fernsehteams begleitet, was dem Protest viel Aufmerksamkeit verschaffte. Unterstützt von Persönlichkeiten wie Rudolf Augstein, Heinrich Böll, Yul Brynner, Daniel Cohn-Bendit und Yehudi Menuhin, fand die Aktion auch Solidarität in der bayerischen SPD-Landtagsfraktion sowie im Bundesverband jüdischer Studenten. Am 11. April 1980 erklärte der bayerische Innenminister Gerold Tandler, dem Verbleib der Akten nachzugehen, was jedoch nicht zu einer sofortigen Lösung führte.
Nachhaltige Auswirkungen
Der Hungerstreik wurde am 12. April 1980 nach acht Tagen abgebrochen. Trotz der gesundheitlichen Risiken der Hungerstreikenden – deren Zustand sich während des Streiks zunehmend verschlechterte – blieb die Aktion ein wichtiges Symbol im Kampf gegen Diskriminierung und für die Rechte der Sinti und Roma. Wolf Biermann widmete den Protestierenden das Lied „Schlaflied für Tanepen“, was den emotionalen und kulturellen Rückhalt für die Bewegung verdeutlicht. Der Hungerstreik hat bis heute Einfluss auf die Debatten um Antiziganismus in Deutschland, dessen Auswirkungen noch immer deutlich spürbar sind.
In der heutigen Zeit ist das Wiedererleben und Aufarbeiten der Geschichte von Sinti und Roma weiterhin dringend notwendig. Die Folgen jahrzehntelanger Diskriminierung erfordern ein umgehendes Handeln, das auf Anerkennung und Wiedergutmachung zielt. Laut einer aktuellen Studie sind Diskriminierung und Vorurteile gegen diese Minderheiten in Deutschland immer noch weit verbreitet.